...am Beispiel von Jeanne d‘Arc in Niedernhausen
Zwei Monate vor Probenbeginn ist es nun also auch von der Urheberin des Stückes, Maricel Wölk, bestätigt, dass Jeanne d‘Arc in Niedernhausen nicht zur Aufführung gelangen wird. Sie schreibt auf Facebook in etwa: Was genau kann eine Autorin bzw. ihr Verlag noch tun, um Gewissheit über einen Produzenten zu erhalten als finanzielle Sicherheiten, unterschriebene Verträge, ja sogar ein eigens gekauftes Theater? Leider hat der Produzent von Jeanne d‘Arc das Stück abgesagt. Offensichtlich wird er Insolvenz anmelden. Der Vorfall wird derzeit von der Steuerfahndung untersucht.
Was genau hinter der Absage steckt, ist also noch nicht wirklich klar. Es lässt sich aber ein Muster erkennen, das regelmäßig deutsche Musicalgroßproduktionen in den Ruin treibt.
Sammeln wir die Fakten:
1. Florian Willmanns ist geschäftsführender Gesellschafter von Rhein-Main-Entertainment (RME GmbH; Registergericht: Amtsgericht Wiesbaden; Registernummer: HRB 28717). Dieses Unternehmen wollte das neue Musical „Jeanne d`Arc“ auf die Bühne des Rhein-Main-Theaters Niedernhausen bringen.
2. Willmanns ist ein Neueinsteiger im Musical-Geschäft. Bislang betreibt er mehrere McDonalds-Fastfood-Restaurants.
3. Zum geplanten Personaleinsatz sagt er in einem Interview: „Es werden 55 Mitarbeiter im Theater arbeiten – zuzüglich des Orchesters. Dies ist mit 20 Musikern zur Vorstellung bestückt und jedes Instrument ist dreifach besetzt.“ [sic!]
4. Die Besetzung wurde am 10.03.2016 auf der Webseite bekannt gegeben, genau 10 Tage bevor Jennifer Siemann – geplant als alternierende Jeanne d‘Arc – als erste öffentlich ihre Fans aufforderte, keine Karten mehr zu ordern.
5. Schon 2015 wurden bei der Premierenankündigung Termine des Vorpächters missachtet, wodurch sich die Weltpremiere um wenige Monate nach hinten verschob. Jetzt folgt die inoffizielle Absage.
6. Auf der offiziellen Webseite wurde der Vorverkauf inzwischen „vorübergehend gestoppt“. Kein Wort von einer drohenden Insolvenz.
Das Schlimmste an der ganzen Misere: Die KünstlerInnen des Musical-Ensembles und die MusikerInnen haben mit der Aussicht auf eine Spielzeit von 25. Juni bis 22. Dezember sicherlich an keinen Auditions mehr für andere Produktionen teilgenommen, oder aber abgesagt. Nur den Wenigsten wird es deshalb gelingen, noch kurzfristige Engagements auf anderen Bühnen zu ergattern. Ihnen droht eine halbjährige Arbeitslosigkeit. Die Wahrscheinlichkeit einer möglichen Entschädigung für den einzelnen Künstler geht im Falle einer Insolvenz gegen Null.
Hartnäckig versuchen immer wieder neue sogenannte „Produzenten“ – geblendet vom schönen Schein des Show-Business – in das Musicalgeschäft in Deutschland einzusteigen. Dabei werden selten kleine Brötchen gebacken, um sich nach und nach das Know-How anzueignen, das – wie übrigens in jedem anderen Beruf auch – einfach notwendig ist, um erfolgreich zu sein. Stattdessen sind es entweder völlig Branchenfremde, wie in diesem Falle ein McDonalds-Restaurantbesitzer (der offensichtlich allen Ernstes meint, sich ein 20köpfiges Orchester leisten zu können), oder es sind ehemalige Regisseure, Choreographen und Dramaturgen, die sich als Produzenten versuchen, weil sie glauben – ja wieso denn eigentlich? - dass sie plötzlich auch Ahnung von Betriebswirtschaft, Marketing und Unternehmens-Management hätten. Man fragt sich ganz grundsätzlich, wieso so viele Menschen – selbst Branchenkenner – allen Ernstes davon überzeugt sind, dass man mit Musical Geld verdienen könne. Das ist nämlich bislang noch eigentlich keinem gelungen, es sei denn, man hat entweder – wie ein Joop van den Ende – Milliardenreserven zur Verfügung, um schwankende Verkaufszahlen im Ticketbereich ausgleichen zu können (aber selbst der hat sich ja bekanntlich inzwischen mehrheitlich aus diesem Geschäftsbetrieb zurückgezogen), oder man hat öffentliche Fördermittel zur Verfügung, weil einzelne Kommunen oder Länder Musicalproduktionen und -festivals unterstützen und weil sie davon überzeugt sind, dass ein künstlerisches Angebot ein Standortvorteil für sie bedeutet (was es nachgewiesener Maßen, ja auch tatsächlich ist).
Das Musical ist und bleibt aber Kunst und die trägt sich nun einmal nicht von allein. Das hat sie noch nie. Sie ist und bleibt fördermittelabhängig. Wenn überhaupt irgendjemand an dem Genre verdient, dann sind es die Urheber der Stücke, sprich Komponisten und Librettisten. Idealer Weise decken sich darum Produzenten und Urheber, wie im Falle von Spotlight Musicals. Aber selbst diese Produktionen sind ohne öffentliche Partner – seien es Kirchen, Verbände oder Städte – kaum denkbar. Dennoch dürften Dennis Martin und Peter Scholz die glänzende Ausnahme von der traurigen Regel sein: Musicalgroßproduktionen in Deutschland gehen ihrem Ende entgegen.
(Johannes Maria Schatz)