Ahnenforschung
Spurensuche im Hegau und am Bodensee
Zwischen Vulkanhügeln und Bodenseeufer, zwischen alten Kirchenmauern und verschollenen Flurstücken beginnt die Geschichte unserer Familie. Seit mehreren Jahren widme ich mich der Rekonstruktion unserer Ahnenlinien im Raum Hegau, Bodensee und dem Kanton Schaffhausen – mit wissenschaftlicher Sorgfalt, historischer Einbettung und hoffentlich auch mit etwas erzählerischer Tiefe.
Was mit einzelnen Namen in Kirchenbüchern begann, wurde zu einem weitverzweigten Geflecht aus Lebensgeschichten, Landschaften und Jahrhunderten. Meine ältesten bekannten Vorfahren – etwa Hilarius Schatz aus Wahlwies, geboren im Jahr 1711 – lebten in einer bäuerlich geprägten Welt, gezeichnet von Kriegen, Hungerwintern und dem langsamen Rhythmus des ländlichen Lebens. Ihre Spuren führen zurück in eine Zeit, als Stockach brannte und der Hohentwiel noch als Festung über die Region wachte.
Besonders erschütternd war die späte Aufklärung über das Schicksal meines Großvaters, Johann Nepomuk Schatz. Jahrzehntelang blieb in der Familie ungesagt, was wir heute wissen: Er wurde 1935 gegen seinen Willen zwangssterilisiert – als Folge der nationalsozialistischen Rassenhygiene, die Menschen mit körperlichen oder psychischen Erkrankungen entrechtete. In den letzten Kriegsmonaten, 1945, starb er entkräftet in einer Heil- und Pflegeanstalt, in der viele Patienten systematisch unterversorgt wurden. Sein Hungertod war kein Zufall, sondern Teil eines staatlich organisierten Sterbens. Heute erinnert ein Stolperstein in der Singener Radolfzellerstraße an sein Schicksal – und daran, dass auch innerhalb unserer Familie Verfolgung, Gewalt und Ausgrenzung nicht fern waren, sondern Teil unserer eigenen Geschichte sind.

Meine Forschung umfasst über sechzehn Uraltfamilien (also: 4xUr-Großeltern). Sie reichen von Wahlwies, Ramsen, Öhningen und Bodman bis nach Markdorf, Durchhausen oder Gospoldshofen. Viele dieser Linien blieben über Generationen in der Region verwurzelt. Die Namen wechseln, die Orte wiederholen sich. Es entsteht ein regionales Gedächtnis, das sich in alten Urkunden, vergilbten Kirchenbüchern und verschollenen Hofnamen niederschlägt.
Unsere Chroniken erzählen aber nicht nur von Daten. Sie beschreiben den Alltag dieser Menschen. Ihre Arbeit auf den Feldern, das Fasten und Beten in kalten Winternächten, das Gebären und Sterben in kleinen Kammern. Sie zeigen den Menschen in seiner Zeit – geprägt von Frömmigkeit, sozialer Ordnung, landwirtschaftlichem Rhythmus und der Willkür des Wetters.
Orte wie Wahlwies erscheinen nicht als Kulisse, sondern als lebendige Landschaft. Dort, wo einst Herzoginnen Hof hielten, lebten unsere Vorfahren als Tagelöhner, Handwerker oder Bauern. Die Geschichte der Region verwebt sich mit den Biografien unserer Familie: Klostergründungen, Pestzüge, Kriege, Bündnisse und Zerstörungen werden Teil einer Erzählung, die vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert reicht.
Diese Ahnenforschung ist keine abstrakte Wissenschaft. Sie ist Erinnerung und Herkunft zugleich. Sie ist eine Annäherung an jene, deren Namen wir tragen, aber deren Leben wir oft nur ahnen können. In jedem Eintrag, in jeder Szene entsteht ein Bild – gezeichnet mit Worten, fundiert durch Quellen, getragen von dem Wunsch, zu verstehen, woher wir kommen.
Der erste Band unserer Familienchronik ist inzwischen abgeschlossen. Er enthält die dokumentierten Linie der Familie Schatz. Auf rund 150 Seiten entfaltet sich ein dichtes Netz aus biografischen Erzählungen, historischen Hintergründen und regionalen Bezügen. Damit liegt ein erster greifbarer Abschnitt unserer Familiengeschichte vor – als Grundlage für weitere Bände, aber auch als Einladung zum Erinnern, Nachdenken und Weitererzählen.

